Vegane statt tierische Antikörper: Der innovative Ansatz des Startups Phaeosynt aus Hannover soll den Weg für eine pflanzliche Alternative zur herkömmlichen Antikörper-Produktion frei machen – und den Tierschutz in der Diagnostik- und Gesundheitsbranche einen großen Schritt voranbringen. Bereits 2025 will Phaeosynt den ersten Schwangerschaftstest auf veganer Basis produzieren lassen, für den keine Tiere mehr sterben müssen.

Warum vegane Antikörper so eine bahnbrechende Idee sind, muss erklärt werden: Antikörper sind Eiweiße, mit denen das Immunsystem von Tieren und Menschen Krankheitserreger wie Bakterien und Viren neutralisiert. Mit Antikörpern lassen sich daher Krankheiten bekämpfen – zum Beispiel in Form von Medikamenten gegen Krebs. Antikörper spielen aber auch im Kampf gegen Covid-19 eine Rolle: Dort regen Impfungen das Immunsystem des Körpers an, Antikörper zur Bekämpfung des Virus zu bilden. Antikörper kommen schließlich in medizinischen Tests zum Einsatz: um Infektionen wie Covid zu diagnostizieren und Schwangerschaften festzustellen.

Tierische Zellkulturen bedeuten Tierleid

Die notwendigen Antikörper werden oft mit Hilfe tierischer Zellkulturen „leidfrei“ produziert. „Das Verfahren ist aber nicht ganz billig. Deshalb greifen die Firmen für Medizinprodukte lieber direkt auf Tiere zurück – so makaber das ist“, sagt Stephanie Pfeil-Coenen von Phaeosynt, einer Ausgründung der Leibniz Universität Hannover. Meist sind es Mäuse, denen bestimmte Zellen gespritzt werden, um die Antikörperproduktion anzuregen.

„Die Mäuse werden dicker und dicker, bis man ihnen die Antikörper aus dem Bauch absaugt. Die Antikörper werden aber weiterhin in den Zellen gebildet und dann wieder abgesaugt. Nach ein paar Runden gehen die Mäuse zugrunde. So sterben in China, der EU und den USA jedes Jahr qualvoll Millionen Tiere“, stellt sie nüchtern fest.

Preisgekrönte Idee: Kieselalgen statt Mäuse

Die Alternative sind Kieselalgen, von denen auf der Erde wohl bis zu 100.000 Arten existieren. Sie produzieren einen Großteil des Sauerstoffs, den wir einatmen. Sie stellen aber auch alle möglichen organischen Substanzen her. „Wir haben die Algen daher sozusagen umprogrammiert, damit sie fleißig für uns Antikörper produzieren“, erklärt Stephanie.

Mit dieser Idee hat das Gründer*innen-Team von Phaeosynt seit Mitte 2022 bereits fünf Preise abgeräumt. Im März 2023 gewann es in der Kategorie „Hochschul-Start“ den Wettbewerb „Startup-Impuls“, den hannoverimpuls, die Wirtschaftsförderung von Stadt und Region Hannover, und die Sparkasse Hannover jährlich ausloben. Ganze 25.000 Euro Preisgeld fielen hier für Phaeosynt ab. Deutlich mehr, 200.000 Euro, kommen vom Land Niedersachsen, das Phaeosynt im Rahmen des Startup-Inkubators BioIntelligence unterstützt. Denn hier greift die Förderung für Hightech-Inkubatoren und -Akzeleratoren des Landes, die bereits in der Vorgründungsphase ansetzt und über finanzielle Förderung hinaus qualifizierende Unterstützungsangebote, Mentoring und Coaching umfasst.

Das Geld ist der Lohn für die Hartnäckigkeit, mit der Phaeosynt seine Idee verfolgt. Denn ursprünglich wollte das Team vegane Antikörper produzieren, um sie direkt an Unternehmen und Universitäten zu verkaufen. Erste Gespräche mit Branchenexpert*innen aber zeigten: Die Zeit für die tierfreundliche Alternative ist noch nicht reif. So zerbrach sich das Phaeosynt-Team die Köpfe, bis die Idee mit dem Schwangerschaftstest entstand. „Wir wollen auf Verbraucherebene ein Bewusstsein für das Thema erzeugen und damit Druck gegenüber den Herstellern aufbauen. Der Test ist unser Pionierprodukt, um die Branche zu verändern“, betont Stephanie.

Phaeosynt plant Markteintritt für 2025

Derzeit ist das Team bei der Entwicklung eines Produktprototypen. Der Markteintritt ist für das zweite Quartal 2025 geplant. Es ist ein kostspieliges Unterfangen. „Bevor wir den Test an Apotheken und Drogeriemärkte ausliefern können, müssen wir ihn aufwendig validieren und zertifizieren, das heißt auf Sicherheit und Wirksamkeit untersuchen lassen“, erklärt Stephanie. Auch Marketing und Werbung werden nicht unerhebliche Kosten verursachen, weshalb Phaeosynt mit Risikokapitalgesellschaften im Gespräch ist.

Für die Produktion hat sich das Team eine smarte, kostengünstige Lösung gesucht: einen externen Hersteller, der für diverse Marken Schnelltests produziert. „Damit brauchen wir keine eigene Halle, keine eigenen Maschinen, keine eigene Produktion, die wir wiederum teuer zertifizieren lassen müssten“, sagt Stephanie.

Kooperation mit Leibniz-Uni hilft den Gründer*innen

Was das Team an Antikörpern für Entwicklung und Zulassung benötigt, produziert es in einem 30 Quadratmeter großen Labor des Instituts für Pflanzengenetik auf dem Herrenhäuser Campus der Leibniz Universität Hannover.

„Wir sind der Uni dankbar für die Unterstützung und besonders unseren Mentor*innen, mit denen wir täglich Kontakt haben. Diese Unterstützung ist außergewöhnlich“, sagt Stephanie mit Blick auf Dr. Thomas Reinard und Dr. Maren Wichmann, die Phaeosynt seit der Gründung im Juli 2021 zur Seite stehen: bei wissenschaftlich-technischen Fragen, bei der Suche nach Doktorand*innen, die das Team bei der Entwicklung unterstützen, und bei der Beschreibung des Patents, das bereits 2022 eingereicht wurde und voraussichtlich 2024 erteilt wird. „Soll uns ja keiner unsere Entwicklung im letzten Moment wegschnappen“, sagt Stephanie, die als Wirtschaftswissenschaftlerin die Frontfrau gibt. „Ich kümmere mich um die Finanzen, die Investor*innen und das Netzwerken“, sagt die 33-Jährige.

Die anderen Teammitglieder haben alle einen naturwissenschaftlichen Hintergrund: Stas Hans, Doktorand der Pflanzenbiotechnologie, der die Kieselalgen für die Antikörperproduktion „umprogrammierte“; die Chemikerin Dr. Alina Eilers, die bereits in ihrer Promotion mit Schnelltests arbeitete, die biologisch-technische Assistentin Eva-Maria Plönnigs. „Jeder hat seine Ecken und Kanten. Das haben wir schon öfters bemerkt“, sagt Stephanie und lächelt. „Aber zusammen sind wir unschlagbar.“