„Life in plastic, it’s fantastic …“, sang die Popgruppe Aqua in den Neunzigern. Aber das stimmt so nicht – zumindest, wenn man nicht die Barbiepuppe aus dem Song ist. Denn Plastik, das weiß heute jedes Kind, ist eine echte Gefahr für die Umwelt. Besonders tückisch ist sogenanntes Mikroplastik, kleine, oft nur mit dem Mikroskop erkennbare Kunststoffpartikel. Diese sind biologisch nicht abbaubar, werden aber trotzdem als Bindemittel unter anderem in Kosmetika wie Seifen und Duschgels verwendet. Wissenschaftler*innen auf der ganzen Welt arbeiten an einer Lösung für dieses Problem. Ein niedersächsisches BioTech-Startup hat sie gefunden.

Schon mal von Ockhams Rasiermesser gehört? Das ist der etwas reißerische Name für ein Forschungsprinzip. Es besagt im Kern, dass die einfachste Lösung die beste ist. Auch wenn dieser Grundsatz recht simpel klingt – den beiden Biologen Dr. Prateek Mahalwar und Srinivas Karuturi hat er zu einem Geniestreich verholfen. Denn statt aufwendige Methoden zu entwickeln, um Mikroplastik wieder aus unseren Ökosystemen zu entfernen, sorgen sie einfach dafür, dass es gar nicht erst hineingelangt. Das ist die Idee hinter der Unternehmensgesellschaft Bioweg aus Quakenbrück, knapp 50 Kilometer nördlich von Osnabrück.

Nur mal kurz die Welt retten: Bioweg vs. Mikroplastik

Mit ihrer Gründung wollen Prateek und Srinivas nach eigenem Bekunden „der Welt helfen“. Sie erklären, wie groß das Mikroplastikproblem inzwischen ist; eine Studie der Universität Amsterdam hat im Jahr 2022 kleinste Kunststoffpartikel in menschlichen Gefäßen und im Blut nachgewiesen. Prateek verweist zudem auf eine Studie der Universität Newcastle, nach der jeder Mensch pro Woche fünf Gramm Mikroplastik aufnimmt – zum Beispiel über Fisch und Fleisch oder Getränke aus Kunststoffflaschen, Reifenabrieb in der Atemluft oder Shampoo, Sonnenmilch und Lippenstift. „Das kann Krebs, Hormonstörungen und andere Probleme heraufbeschwören“, sagte Stammzellenforscher Prateek in einem Interview mit dem Handelsblatt.

Pflanzliche Alternative: Es geht auch ohne Plastik

Für die beiden Wissenschaftler war schnell klar: Es muss eine natürliche Alternative zu Mikroplastik her! Dabei setzen sie auf Zellulose, einen natürlichen Stoff, der eigentlich in Pflanzen steckt und ihnen Stabilität verleiht. Bioweg stellt Zellulose selbst her – durch Fermentation von Abfällen wie Gemüseresten oder Melasse. Dabei helfen Bakterien, wie sie für die Herstellung des Teegetränks Kombucha genutzt werden. Warum das so bahnbrechend ist? Die Zellulosekapseln können Produkte genauso glänzend oder geschmeidig machen wie Mikroperlen auf Erdöl-Basis und damit synthetische, nicht abbaubare Substanzen ersetzen. Oder kurz gesagt: Tschüss, Mikroplastik! Die Technologie ist so genial, dass das US-BioTech-Unternehmen Gingko Bioworks mit Hauptinvestor Bill Gates in das niedersächsische Startup investiert.

Aus der Garage in den Startup-Hotspot

Dabei hat alles ganz bescheiden angefangen, nämlich in einer Stuttgarter Garage. Dort experimentierte der spätere Bioweg-CEO Prateek nach Feierabend mit Fermentierung herum. Das waren die ersten Schritte auf dem Weg zur Herstellung eines natürlichen Mikroplastik-Ersatzes. 2019 folgte die Unternehmensgründung – damals noch unter dem Namen Cellulosic Technologies. Und wie kamen die Gründer aus der Schwabenmetropole in die niedersächsische Provinz? „In Quakenbrück sitzt das Deutsche Institut für Lebensmitteltechnik, deren Anlagen konnten wir nutzen“, verrieten Prateek und Srinivas ebenfalls im Interview mit dem Handelsblatt. Außerdem hat sich rund um Osnabrück ein Cluster von Startups mit Fokus auf BioTech und AgTech gebildet, das in Deutschland seinesgleichen sucht.

Klein, aber fein: Mikropulver statt Mikroplastik

Heute hat Bioweg 16 Mitarbeiter*innen und bietet hochfunktionale Mikropulver, die Kunststoffe mit unaussprechlichen Namen wie „Polymethylmethacrylat“ in Kosmetika und Pflegeprodukten ersetzen können. Sie können außerdem in der Nahrungsmittelindustrie anstelle von Xanthan und Carrageen eingesetzt werden: oft verwendete, doch wenig gesunde Zusatzstoffe. Selbst in der Landwirtschaft haben die Produkte der Bioweg-Gründer Einzug gehalten. Dort ersetzen sie die erdöl- und acrylbasierten Beschichtungen von Düngemitteln und Saatgut. Die Mikropulver sind biologisch abbaubar, frei von tierischen Inhaltsstoffen und zu 100 Prozent vegan.

Simply the best: Startup startet durch

Kein Wunder, dass Bioweg mit seinen Innovationen auf Erfolgskurs ist. 2022 erhielt das Unternehmen beim EU-Accelerator 2,45 Mio. Euro Fördermittel und 10,1 Mio. Euro Kapitalbeteiligung. Beim prestigeträchtigen LVMH Innovation Award 2023 in Paris wurde es als eines der drei besten Nachhaltigkeits-Startups ausgezeichnet. Zudem erhielt Bioweg Förderungen von der NBank, dem deutschen Institut für Lebensmitteltechnik (DIL) und EIT Food. „Wir bieten eine echte, praxistaugliche Alternative zu Mikroplastik an – für Märkte und Branchen auf der ganzen Welt“, sagt Prateek. „Daher freut es mich umso mehr, dass wir unsere Lösungen dank der vielfältigen Unterstützung bald in großem Umfang anbieten können.“ Bis 2030 peilt er einen Jahresumsatz von einer Milliarde Euro an. Das klingt alles andere als unrealistisch, denn viele Hersteller von Kosmetik, Waschmitteln oder Dünger müssen sich schnell nach Alternativen für die klitzekleinen Plastikkügelchen umsehen. So hat die EU-Kommission bereits 2022 einen Beschluss vorgelegt, um Kunststoffpartikel von einer Größe von fünf Millimetern oder weniger zu verbieten.