Wohl niemand wünscht sich eine neue Pandemie herbei. Doch was, wenn sie kommt? Dann stehen die Chancen vielleicht etwas besser, dass wir sie besser überstehen als beim letzten Mal. Denn wo es in den vergangenen vier Jahren noch an wirksamen Therapeutika zur Behandlung von Viruserkrankungen fehlte, könnte sich das dank zweier Startups und Forschungsgruppen aus Niedersachsen schon bald ändern. Mit ihren Forschungsteams CRISPR/Cas13 und iGUARD haben sie vielversprechende Ansätze für neue antivirale Mittel entwickelt und es damit bis in das Finale der SPRIND-Challenge der Bundesagentur für Sprunginnovationen geschafft.

 

SPRIND-Challenge fördert Startups bei Entwicklung antiviraler Medikamente

Doch von vorne: Im Sommer 2021 rief die Bundesagentur für Sprunginnovationen zum Wettbewerb. Drei Jahre lang sollen visionäre Teams wie Startups und wissenschaftliche Ausgründungen antivirale Medikamente entwickeln und erforschen, um neue Behandlungsmöglichkeiten gegen Viren zu entwickeln, die auch im Falle neuer Pandemien und bislang unbekannter Viren eingesetzt werden können. 45 Teams wollten sich der Herausforderung stellen – neun Teams wurden schließlich zur Teilnahme auserwählt und erhielten für ihre Arbeit jeweils Fördergelder von bis zu 700.000 Euro. Im zweiten Jahr ging es nach einer Bewertung der Jury mit Vertretern aus Wirtschaft und Wissenschaft für sechs Teams mit weiteren 1,5 Millionen Euro Fördergeld in die nächste Runde. Nun läuft seit November das dritte und letzte Jahr der Challenge, in dem auch zwei Teams aus Niedersachsen unter den vier Finalisten sind. Sie erhalten jeweils bis zu 2,5 Millionen Euro weitere Förderung.

 

Team CRISPR/Cas13: mit bakteriellem Abwehrsystem gegen Viren

Das Team CRISPR/Cas13 vom Göttinger Startup Avocet Bio rund um Leiterin Prof. Dr. med. Elisabeth Zeisberg macht sich den bakterieneigenen Abwehrmechanismus CRISPR/Cas zunutze. Die Enzyme dieses Systems fungieren dabei als Schere und schaffen es, durch die Spaltung des viralen Erbguts die Wirkung und Vermehrung der Viren zu blockieren. Während das Enzym CRISPR/Cas9 beispielsweise effektiv DNA-Viren bekämpft und bereits in der Therapie von Erbkrankheiten zum Einsatz kommt, spaltet das Enzym CRISPR/Cas13 in erster Linie RNA-Viren wie SARS-CoV-2 und macht sie dadurch unschädlich. Genau hier setzt das Team an. „Nun geht es darum, das Enzym an die richtige Stelle zu bringen, damit es die virale RNA zerschneidet. Heißt: Wie bekommen wir die Therapie dahin, wo wir sie brauchen, also im Fall von SARS-CoV-2 in die Atemwege?“, erklärt Zeisberg. Das Ziel ist es, mit den gewonnenen Erkenntnissen ein Nasenspray oder einen Inhalator zu entwickeln, der im Fall eines viralen Infekts zur Behandlung eingesetzt werden kann.

 

Startup Team (vier Personen, drei Frauen - ein Mann) von Avocet Bio

 

Seit dem Ausbruch der Coronapandemie Anfang 2020 ist dieses Ziel Zeisbergs große Motivation – getrieben von dem Wunsch, zukünftige Pandemien zu verhindern und präventiv gegen neue virale Bedrohungen vorzugehen. „Unsere Technologie ermöglicht es, auf potenzielle Gefahren der Zukunft vorbereitet zu sein“, erzählt sie. Man muss sie nur entsprechend einzusetzen wissen. Seit Januar 2020 forscht das CRISPR/Cas-Team genau daran. Der Aufruf zum SPRIND-Wettbewerb im Sommer 2021 kam dabei wie gerufen. Immerhin bietet die Teilnahme dem Team nicht nur finanzielle Förderung, sondern auch Zugang zu wichtigen Ressourcen, Mentoren und Netzwerken. Mitten im Wettbewerb – im März 2023 – gründeten die Forscherinnen und Forscher schließlich Avocet Bio.

 

Team iGUARD: schnell unterwegs dank künstlicher Intelligenz

Das Projekt iGUARD um Prof. Dr. Axel Schambach und seine Kollegen Armin Braun, Adrian Schwarzer und Philippe Vollmer Barbosa von der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH) und dem Fraunhofer ITEM Institut hat einen anderen Ansatz. Es setzt bei der Entwicklung antiviraler Therapeutika auf maschinelles Lernen. „Wenn ein Virus mutiert oder ein neues auftaucht, wissen wir meist relativ schnell, wie es genetisch aufgebaut ist. Diese Informationen können wir mithilfe künstlicher Intelligenz mit Informationen zu bereits bekannten Virenstämmen abgleichen und so ähnliche Bausätze finden. Dank unseres Wissens über diese bekannten und ähnlichen Bausätze können wir schließlich Rückschlüsse ziehen, wo die Schwachstelle des neuen Virus ist und wo man es gut angreifen kann“, erklärt Schambach. Mithilfe eines ausgefeilten Algorithmus und einer integrierten Testpipeline kann bei der Suche nach passenden Therapeutika und deren Entwicklung somit vor allem Zeit gewonnen werden. Das Prinzip der Medikamentenentwicklung des Teams um Schambach fußt dabei auf Nukleinsäure-Stückchen, die die Vermehrung der Viren eindämmen.

 

Startup Team von iGuard - vier Männer

 

Und wie soll es für das iGUARD-Team, das ein akademisches Kooperationsprojekt zwischen der MHH und dem Fraunhofer ITEM ist, nach dem SPRIND-Wettbewerb weitergehen? „Weltweit gibt es mehr als 17 Milliarden virale Atemwegserkrankungen pro Jahr – für viele der Viren aber keine Therapeutika“, erzählt Vollmer Barbosa. „Wir sehen deshalb einen großen Bedarf und haben uns das Ziel gesetzt, neue Therapien und Medikamente zu entwickeln. Dabei denken wir auch über die Gründung eines Startups nach, um noch zielgerichteter darauf hinzuarbeiten.“

Die finale Runde des SPRIND-Wettbewerbs läuft noch bis zum Herbst 2024.