Anne Konermann vom startup.niedersachsen-Team durfte bei einer Delegationsreise des Niedersächsischen Wissenschaftsministeriums nach Israel reisen und dort das Technologietransfer- und Startup-Ökosystem erkunden. In diesem Beitrag berichtet sie von ihren Eindrücken und Learnings sowie den frischen Impulsen für die niedersächsische Startup-Landschaft.

Mein Auftrag war klar: Anne, check mal das Technologietransfer- und Startup-Ökosystem in Israel und schau nach Impulsen für Niedersachsen! Zur Verfügung stehende Zeit: dreieinhalb Tage. Meine Eindrücke, Learnings und Wow-Effekte möchte ich gerne unter den drei Hashtags #Extreme, #Verantwortung und #Internationalisierung teilen.

#Extreme

Israel ist ein junges Land, gerade 74 Jahre alt. Gleichzeitig beherbergt es Jahrtausende alte Schätze der Menschheit. Deutlich erkennbar ist die ausgeprägte soziale Ungleichheit und deshalb umso faszinierender der Fakt, dass demgegenüber die weltweit höchste Ausgabenquote für Forschung und Entwicklung steht. Die Wolkenkratzer, in denen die jungen, hochqualifizierten Talente an den nächsten Hightech-Unicorns arbeiten, stehen neben maroden Hütten und können nur via rückschrittlicher Infrastruktur erreicht werden. Die überdurchschnittliche Performance der Hightechindustrie (zehn Prozent aller Beschäftigten) steht der unterdurchschnittlichen Performance der übrigen Industriezweige gegenüber. Hochspezialisiertes Tech-Know-how trifft hier auf tiefste Religiosität. Beim Kaffee in der Sonne sind die multikulturelle Weltoffenheit und der Puls der Städte deutlich spürbar – bis der Blick auf die von jungen Soldaten getragenen Maschinengewehre fallen.  Die Mentalität der Menschen, so fasste es ein israelischer Arzt zusammen, ist geprägt von „Power on or power off“, also ganz oder gar nicht. Dazwischen gibt es nichts. Ein Leben in Extremen eben.

Die Grenzen zwischen Alt und Neu verschwimmen in Israel.

#Verantwortung

Israelis lernen früh, Verantwortung zu übernehmen, zu führen und zu folgen. Das liegt vor allem an der dort herrschenden Wehrpflicht. „Mit 24 Jahren hatte ich die Verantwortung für über 100 Menschen und mehrere Millionen Dollar Wehretat. Danach war ziemlich schnell klar, dass ich mein eigenes Ding machen muss und nicht einfach Arbeitnehmer sein kann“, so Yonatan Hatzor (Parametrix, Co-founder/CEO). Yonatan steht stellvertretend für viele Israelis, die heute in den Führungsetagen großer Unternehmen sitzen, selber gründen oder politische Entscheidungsträger*innen sind.

Zudem werden die Studierenden an den Hochschulen ständig mit der Frage konfrontiert, was sie mit dem erlangten Wissen besser machen werden. Immer in dem Bewusstsein, dass sie große Verantwortung für Israel, dessen Gesellschaft und die Welt tragen. Mit Gänsehautfeeling wurde das eindrucksvoll am „Technion – Israel Institute of Technology“ über einen 360-Grad-Film transportiert. Auf den Film folgte direkt eine kleine Ausstellung mit den größten Errungenschaften der Wissenschaft des Technions, die heute unser Leben prägen. Der Anspruch israelischer Universitäten ist groß. „Unsere Studierenden werden zu hochqualifizierten Know-how-Träger*innen und Führungspersönlichkeiten ausgebildet. Sie werden diejenigen sein, die über den zukünftigen Erfolg Isreals bestimmen.“ So Bitansky Naomi vom Technion Visitors Centers über den Anspruch der Universität. Kombiniert mit gezieltem Technologie-Scouting an den Forschungseinrichtungen, welches die Verwertung von wissenschaftlichen Ergebnissen hat und über 400 Möglichkeiten zur Acceleration von Startups boomt das Gründungsgeschäft. So war 2021 das Rekordjahr für israelische Startups. Nie zuvor wurde so viel Kapital eingeworben.

#Internationalisierung

Think big, oder zu Deutsch: Groß denken! Wer in Israel gründet, ist gewissermaßen dazu gezwungen. Internationalisierung muss von Beginn an mitgedacht werden, da der Heimatmarkt zu klein und unattraktiv ist. Flächenmäßig ist das Land vergleichbar mit Hessen. Viele Produkte und Services sind deshalb sofort auf die Bedürfnisse des Europäischen und/oder US-amerikanischen Marktes ausgerichtet. Das Thema Skalierung ist damit kein Problem.

Viele junge, gut ausgebildete Israelis verlassen das Land und kehren nach zehn oder mehr Jahren zurück. „Und sie kommen alle zurück!“, versicherte ein Vertreter von EY Israel. Hierin liegt ein großer Wert, denn die Rückkehrer*innen bringen viele gute Kontakte und Know-how über den ausländischen Markt mit. Längst sind große internationale Firmen auf den Standort aufmerksam geworden. Alle wollen vom Know-how im Bereich Hightech profitieren, sind an den Universitäten präsent, haben eigene Acceleratoren und investieren Geld, sehr viel Geld. Natürlich sind darunter auch deutsche Firmen. Beispielsweise investiert unter anderem Merck in den neuen Accelerator AION LABS für den Bereich Pharma.

Fun Fact: In Israel gibt es ein Innovationsförderprogramm nach dem Motto „Help Israel innovate!“ Es setzt Anreize für Startups, ihre Geschäftsmodelle im Land zu evaluieren. Ziel ist es, von den Innovationen profitieren zu können, die sonst ausschließlich exportiert werden würden.

Nachtaufnahme einer israelischen Stadt.
Aufgrund des kleinen Heimatmarkts gilt: Je internationaler das Startup, desto besser!

Entdeckungen werden auf Reisen gemacht. Die dreieinhalb Tage waren natürlich zu kurz, um das israelische System des Technologietransfers und der Startups zu verstehen. Und doch hat es gereicht, um zu entdecken, dass die Innovationskraft des Landes, getrieben durch die Wissenschaft und das Militär das Herz des Startup-Ökosystems ist. Das enorme Verantwortungsgefühl und der Drang, etwas mit Wissen zu bewegen, hat wohl den größten Wow-Effekt in mir ausgelöst. Zurück bleibt ein Eindruck, der zwischen Extremen schwankt. Niedersachsen mit seiner unglaublich hohen Dichte an Wissensträger*innen wünsche ich dieses Verantwortungsgefühl und den Drang, etwas zu bewegen, ebenfalls.

Innovative Grüße,
Anne vom Team startup.niedersachsen

PS: An dieser Stelle sei den Organisator*innen der Reise aus dem Niedersächsischen Wissenschaftsministerium herzlich gedankt. Mein Dank geht außerdem an alle Mitreisenden, die ich kennenlernen durfte.