Seit über einem Jahr ist Dr. Andreas Eckstein der Repräsentant des Landes Niedersachsen in Chicago. Die IHK Hannover hat das zum Anlass für ein Interview genommen, um mehr über seine Aufgaben zu erfahren. In dem Gespräch geht es vor allem auch darum, wie es momentan um die Niedersachsen in den USA bestellt ist.

Das Interview stellt den Auftakt unserer neuen Beitragsreihe „Startklar für die USA“ dar. In den nächsten Wochen wird Dr. Andreas Eckstein dort zu diversen Startup-Themen aus den USA berichten.

USA: Auf ein Wort mit dem Repräsentanten Niedersachsens in Chicago

Andreas, einleitend eine Frage, die wir in Tagen stellen müssen, in denen die Corona Pandemie nicht nur die Schlagzeilen vermutlich aller Zeitungen dieser Welt, sondern insbesondere auch die der amerikanischen Medien beherrscht: Wie erlebst du die Situation?

Die Corona-Krise trifft aktuell Privatpersonen und Unternehmen. Die Straßen in Chicago sind ausgestorben und die meisten Leute verlassen das Haus oder die Wohnung nur noch zum Einkaufen. Das gesellschaftliche Leben ist zum Erliegen gekommen. Die sonst so quirlige Großstadt ist zu einer Geisterstadt geworden und die wenigen Leute auf den Gehsteigen tragen Mundschutz. Jedoch ist der Optimismus der Amerikaner weiter ungebrochen und es gibt eine tiefe Überzeugung, dass es ab Mitte des Jahres wieder aufwärts geht.

Welche Konsequenzen haben die Krise und die damit verbundenen Maßnahmen für die Wirtschaft der USA?

Der Einbruch der Wirtschaftsleistung zieht sich durch fast alle Branchen hindurch, von der Automobilindustrie, über Dienstleister und den Einzelhandel bis hin zum Tourismus. Immer mehr Unternehmen veranlassen Kurzarbeit und entlassen Mitarbeiter. Im Februar hatten viele Firmen noch Probleme, Mitarbeiter zu finden, da die USA die geringste Arbeitslosigkeit seit 50 Jahren hatten und nun liegt die Arbeitslosenquote bei fast zehn Prozent, was sich auch negativ auf die sonst sehr hohe Konsumbereitschaft auswirkt.

Gleichzeitig herrscht eine starke Dynamik in anderen Bereichen, die unter anderem dazu führt, dass die Digitalisierung stark vorangetrieben wird. Immer mehr stationäre Händler haben in den letzten Wochen einen Onlineshop aufgebaut und versenden ihre Waren. Sowohl zwischen Privatpersonen als auch in Unternehmen gewinnen Videomeetings stark an Bedeutung. Zudem haben viele Unternehmen ihre Produktion innerhalb kurzer Zeit umgestellt, um die aktuell benötigten Schutzgüter herzustellen. Viele Unternehmenslenker sind weiterhin positiv gestimmt, da sie wissen, dass die Wirtschaft hier auch sehr schnell wieder an Fahrt aufnimmt und die relativ unkomplizierten Kredite, die auch deutsche Mittelständler beantragen können, helfen den Zeitpunkt bis zum Neustart der Wirtschaft zu überwinden.

Andreas, du bist der Repräsentant des Landes Niedersachsen in den USA. Was genau macht ein Repräsentant in Chicago?

Kontakte aufbauen, Netzwerke knüpfen, mit Wirtschaftsförderern oder anderen Marktentscheidern sprechen. Amerikanische Unternehmen besuchen, niedersächsische Betriebe treffen und zum Beispiel auf lokale Messen begleiten. Telefonieren, reisen – und mit vielen Menschen reden. Sehr viel reden. Nein – im Ernst: Das Land Niedersachsen will durch seine Repräsentanzen im Ausland insbesondere kleinen und mittleren Unternehmen einen Ansprechpartner in ausländischen Zielmärkten bieten. Einen der den Markt kennt, die richtigen Kontakte hat und bei Marktaufbau oder Wachstum helfen kann. Dafür bin ich hier.

Nur in Chicago?

Vom Büro aus Chicago bedienen wir den gesamten amerikanischen Markt. Dieser ist riesig. Chicago ist ein guter Standort für eine offizielle Repräsentanz, da man von hieraus in wenigen Stunden sowohl die Ost- als auch Westküste der USA mit dem Flugzeug erreichen kann. Außerdem gehört Chicago zu den wirtschaftsstärksten Metropolregionen der Welt, ist ein bedeutender Industriestandort, Messeplatz, Sitz wichtiger Börsen der Vereinigten Staaten sowie zahlreicher Verbände und Konzerne. Viele deutsche Unternehmen haben hier eine Repräsentanz. Mit mehr als 100 Inkubatoren und Akzeleratoren zieht Chicago auch viele innovative Startups in die Stadt. Maschinen- und Fahrzeugbau, Elektronik, die Verarbeitung von Nahrungsmitteln, Chemie oder Luftfahrt – dafür ist Chicago ein ausgezeichneter Standort. Und für erneuerbare Energien sowieso: Bis zum Jahr 2025 will man alle 900 städtischen Gebäude zu 100 Prozent durch Strom aus erneuerbaren Energiequellen versorgen. Dafür wurden unlängst Kohlekraftwerke abgeschaltet, Solaranlagen auf den Dächern von Schulen installiert, Windkraftanlagen gebaut. Ihrem Beinamen ,Windy City‘ macht Chicago gerade in diesen Tagen also wieder große Ehre. Es ist erklärtes Ziel, die Energiewende effizient umzusetzen, was übrigens auch große Chancen für niedersächsische Unternehmen bietet.

Wie steht es denn überhaupt um die Präsenz Niedersachsens in den USA?

Ausgezeichnet. Niedersächsische Unternehmen sind eigentlich an allen größeren Standorten mit Niederlassungen vertreten. Broetje Automation hat diverse Standorte in den USA, gerade aber erst ein neues Werk in Chicago eröffnet, das zum Vorzeigebeispiel einer Smarten Fabrik werden soll. Das niedersächsische Saatzuchtunternehmen KWS hat hingegen St. Louis als Standort für ein innovatives Forschungszentrum gewählt. In Boston sitzt Sartorius – wie eigentlich fast alle anderen deutschen Betriebe, die im Bereich Biotech aktiv sind. Volkswagen hat in Chattanooga sein Werk – die vielen Zulieferer gleich nebenan. In Nebraska sitzt der Agrarspezialist Graepel Löningen; die Grimme Landmaschinenfabrik arbeitet von Idaho aus. Ich habe allein im Laufe des letzten Jahres die unterschiedlichsten niedersächsischen Unternehmen auf den US Markt begleitet, dabei war von Automotive und Luftfahrt über Lebensmittel, Lacke und Filze alles dabei. Viele niedersächsische Mittelständler exportieren in die USA und über 200 haben eine eigene Niederlassung vor Ort – und es werden mehr. Es gibt viele, die die Vorteile des riesigen Marktpotenzials sehen und dieses für sich nutzen wollen.

Hannover oder Chicago – Was kann Chicago bieten, was Hannover nicht hat?

Da fällt die Antwort als Lokalpatriot, der in Hannover aufgewachsen ist schwer, da ich so Vieles an Hannover liebe. Es gibt jedoch einige Punkte bei denen wir von Chicago lernen können. Ein Punkt ist die stärkere Vernetzung von Startups und etablierten Unternehmen. Hannover holt hier in letzter Zeit auf, aber die Szene ist in Chicago eine ganz andere. Der Spirit übrigens auch.

Spirit?

Ja, das hat sicherlich auch mit der Kultur zu tun. In den USA wird viel ausprobiert – einfach auch mal gemacht. Aus Fehlern lernt man. Klappt eine Idee nicht, passt man diese schnell an oder sucht sich eine neue. Hier gibt es das Sprichwort: ,Die Umsetzung zählt und nicht die Idee.‘ Denn es ist sehr wichtig, dass aus der Idee auch ein Produkt wird, das am Markt verkauft wird. Deutsche Unternehmen unterschätzen oft die Kulturunterschiede zwischen den USA und Deutschland. Die amerikanische Businessetikette nicht nur zu verstehen, sondern auch zu adaptieren, ist meiner Meinung nach ein ganz zentraler Faktor für den Geschäftserfolg in den USA.

Und ebenso wichtig: Die Standortwahl. Oder besser gesagt, das Vertriebsgebiet – für diejenigen, die nur exportieren wollen. Oft machen sich Betriebe zu wenig Gedanken darüber, wo genau sie sich in den USA engagieren wollen. Bedienungsanleitungen übersetzen, Etiketten anpassen oder Arbeitsgesetze studieren – das gehört alles zum zweiten Schritt. Zuallererst müssten Unternehmen wissen, wo sie hin wollen. Dabei ist sowohl wichtig zu wissen, wo Lieferanten und Kunden sitzen, als auch über die Vorteile bestimmter Regionen Bescheid zu wissen. So sind die Bundesstaaten Iowa und Nebraska für die Agrar- und Lebensmittelindustrie sicherlich gute Orte; New Jersey, wenn Offshore Wind das Thema ist. New Mexico ist sicherlich interessant für Medizintechnik, während Illinois für die produzierende Industrie wirbt. Das Land ist groß – die Regionen heterogen.

Weitere Tipps von Deiner Seite?

Das Gütesiegel, Made in Germany‘ hat in den letzten Jahren in den USA an Strahlkraft verloren und ist meiner Meinung nach kein alleiniges Verkaufsargument mehr. Was in den USA zählt, ist Service. Eine gute Verpackungsmaschine können viele konstruieren. Service und Wartung rund um die Uhr, das können weniger. Hier lohnt es sich drüber nachzudenken, wie man den Kunden begeistern und überraschen kann.

Für Newcomer eignen sich Messen oft hervorragend, um Markt, Nachfrage und auch den Wettbewerb besser einschätzen zu können. Aber auch hier gilt: Andere Länder, andere Sitten. Messen in den USA sind zumeist viel kürzer als in Europa – es geht um Kontakte, nicht um konkrete Geschäftsabschlüsse. Eine Beteiligung an Gemeinschaftsständen macht durchaus Sinn. Und auf Messen kann man übrigens auch sehr gut die Unterschiede in der Geschäftskultur zwischen Deutschland und den USA beobachten.

Mit welchen Fragen können sich niedersächsische Unternehmen denn nun konkret an dich wenden?

Im letzten Jahr habe ich über 20 Messen in den USA besucht und kann niedersächsischen Unternehmen sehr genau sagen, welches die Leitmesse für bestimmte Produkte ist und ob es sinnvoll ist eher als Besucher oder direkt als Aussteller erste Erfahrungen zu sammeln, um seinen Marktwert zu testen. Durch meine sehr guten Kontakte zu den hiesigen Wirtschaftsförderern kenne ich viele Förderprogramme und andere Anreize, die bei Standortentscheidungen eine Rolle spielen können. Darüber hinaus stehe ich auch im engen Austausch mit der Deutschen Auslandshandelskammer in Chicago. Ich kenne die hiesigen Vertriebskanäle und habe hier vielfältige Kontakte. Gerne stelle ich diese niedersächsischen Unternehmen zur Verfügung.

Last but not least – ein Tipp von Dir für die strategische Ausrichtung der US-Geschäfte niedersächsischer Unternehmen.

Ich glaube, dass viele Amerikaner in Zukunft noch lieber Produkte kaufen werden, bei denen die Lieferkette nicht zu lang ist und die mit heimischen Vorprodukten produziert werden. Deshalb sehe ich den Trend, dass mehr deutsche Unternehmen größere Teile der Wertschöpfung in die USA verlagern werden. Einen konjunkturellen Abschwung wird man aufgrund der Corona-Pandemie nicht vermeiden können. Aber die meisten Mittelständler sind optimistisch, dass die Wirtschaft in den USA danach schneller wieder an Fahrt aufnehmen wird, da die Amerikaner einfach sehr konsum- und investitionsorientiert sind. Somit wird der Markt für viele Unternehmen auch aus dem Gesichtspunkt der Risikodiversifikation in Zukunft noch an Bedeutung gewinnen.

(Quelle: IHK Hannover, Bild: Pixabay)