Dünger reduzieren, Pflanzenschutzmittel einsparen: Der umweltschonende Anbau von Lebensmitteln liegt voll im Trend. Doch woran erkennt der Landwirt, an welchen Stellen die Ausbringung dennoch notwendig ist? Das hannoversche Startup HAIP Solutions arbeitet an einer Systemlösung, die aus der Luft erkennt, wie es um die Gesundheit von Pflanzen steht. Die Idee dazu entstand in der WG-Küche.

Pflanzenkrankheiten auf dem Acker erkennen, bevor sie ausbrechen können? Was wie Zukunftsmusik klingt, könnte für die Agrarbranche bald Realität werden. Zumindest wenn es nach Johannes Busch, Milan Rädicker, Michel Reifenrath und Tobias Kreklow geht. Die vier stecken mitten im Gründungsprozess ihres Startups HAIP Solutions. „HAIP steht für Hyperspectral Agricultural Imaging Platform“, erklärt Tobias. „Und wir wollen mit unserem Analysesystem dafür sorgen, dass Landwirte ganz unkompliziert und umweltfreundlich die Effizienz ihrer Anbauflächen steigern können.“

Innovationsschmiede: WG-Küche

Die Idee dazu entstand 2017 in der WG-Küche von Michel, Milan und Tobias. „Wir saßen mit Johannes, den ich in einer Vorlesung kennengelernt hatte, zusammen und unterhielten uns über das Potenzial von Hyperspektralkameras“, erzählt Michel, der sich bestens mit optischen Systemen auskennt. Die Kameras, die besonders in der Medizintechnik Anwendung finden, sehen mehr als das menschliche Auge – zum Beispiel minimalste Veränderungen in der Chemie der Pflanze, ausgelöst durch Pflanzenstress. „Pflanzen haben eine spektrale Signatur“, erläutert Landschaftsökologe Tobias. „Das ist vergleichbar mit einem menschlichen Fingerabdruck.“ Verändert sich dieser Fingerabdruck, deutet das unter anderem auf sich anbahnende Krankheiten hin.

Schnell wird den – damals noch – Studenten klar, dass sie gerade eine ziemlich gute Idee entwickeln: Sie wollen mit Drohnen, die mit Hyperspektralkameras ausgestattet sind, Ackerflächen überfliegen, um Pflanzenstress zu erkennen. Dadurch soll der Landwirt das Problem in der Folge gezielt behandeln können. „Der Trend in der Landwirtschaft geht deutlich in Richtung umweltverträglicherer Anbaumethoden. Dünge- und Pflanzenschutzmittel nur dort auszubringen, wo es benötigt wird, ist daher für viele ein wichtiges Ziel“, weiß Tobias. Und nicht nur das: Auf lange Sicht wird es zum Beispiel aufgrund der wachsenden Weltbevölkerung und extremen Wetterlagen immer mehr an Bedeutung gewinnen, die Landwirtschaft so effizient wie möglich zu machen, um den Flächenverbrauch nicht noch weiter zu steigern.

Eine smarte Idee lernt fliegen

Unterwegs auf der Agritechnica 2017 stellt die Innovations-WG überrascht fest, dass eine Analyse nach ihren Vorstellungen tatsächlich noch nicht existiert. Also zögern sie nicht lange, holen sich Unterstützung und stellen fest, wie gut es um das Startup-Ökosystem in Niedersachsen bestellt ist: Dank des Starting Business Netzwerks der Leibniz Universität Hannover und des Mechatronik Zentrums Hannover (MZH) nimmt die Idee immer deutlichere Formen an. „Die Gründungsberatung und Unterstützung beim Bau des Prototypen haben uns wirklich entscheidend nach vorne gebracht!“, freut sich Johannes, Experte für Machine Learning. „Wir kennen uns alle gut mit unserer jeweiligen fachlichen Materie aus. Die Grundzüge unternehmerischen Denkens und Handelns mussten wir uns aber auch erst einmal antrainieren.“

Schnell ist das HAIP-Team gut vernetzt – auch dank der Innovations-Plattform Hafven. Hier wurden den Gründern vorübergehend Arbeitsräume zu Verfügung gestellt und Chancen gegeben, sich zu vernetzen. Im August konnten sie ihre Idee und vor allem das, was sie in den letzten sechs Monaten erreicht haben, beim Smart City Hub vor Vertretern aus Wirtschaft und Forschung präsentieren. Zudem profitiert das Team von der Möglichkeit, Versuche im Gewächshaus und auf den Feldern des Instituts für Zuckerrübenforschung in Göttingen durchzuführen. Seit Mitte Mai 2019 laufen dort Feldversuche mit dem ersten richtigen Prototypen. „Die Expertise und Versuche vor Ort sind goldwert“, wirft Tobias ein. „Denn wir müssen unsere Datenbank natürlich anlernen und mit jeder Menge Informationen füttern, bis sie zuverlässige Analysen produzieren kann.“ Also dreht das HAIP-Team viele Runden mit seinen Drohnen über die Felder von Partnern. „Wir sind auch immer auf der Suche nach weiteren Forschungsinstituten sowie Pilotbetrieben, mit deren Hilfe wir unsere Datenbank vergrößern und unsere Analysesoftware weiterentwickeln können!“, ergänzt Milan, der Sensorik-Spezialist im Team.

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Diagnose aus der Luft: Die Hyperspektralkamera der Drohne erkennt Pflanzenkrankheiten. (Bild: HAIP)

Das angepeilte Ziel: Markteintritt 2021

Von ihrer Idee konnten sie bisher nicht nur niedersächsische Forschungsinstitute überzeugen, sondern auch das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie. Seit September 2019 werden sie durch das EXIST Gründungsstipendium unterstützt. „So können wir die Gründung von HAIP noch in diesem Jahr über die Bühne bringen“, freut sich Milan. Die finanzielle Unterstützung macht vieles einfacher, denn es ist gar nicht so leicht, sich voll und ganz aufs Tüfteln zu konzentrieren, wenn man sich Sorgen macht, die nächste Miete nicht zahlen zu können. Zumal bei einem Technik-Startup auch jede Menge in Hard- und Software investiert werden muss – wofür die meisten Förderprogramme aber nicht ausreichend Geldmittel bereitstellen. Besonders die Entwicklung der Analysesoftware ist sehr zeit- und kostenintensiv.

Hier soll alles stimmen, schließlich ist sie das Herzstück der Idee: „Die Software soll so simpel wie möglich anzuwenden sein und dem Landwirt präzise Handlungsempfehlungen vorschlagen. Außerdem soll sie mit der Technik in landwirtschaftlichen Fahrzeugen kommunizieren können“, berichtet Milan. Der erste eigene Prototyp ist nun frisch zur Agritechnica fertig. Der Plan ist, das Modell 2020 so weit zu optimieren, dass einem Markteintritt im Frühjahr 2021 nichts mehr im Wege steht. Und was kommt danach? Werden Landwirte ihre Felder selbst mithilfe einer Drohne begutachten oder wird HAIP als Dienstleistung angeboten? Da ist sich das Vierergespann noch nicht sicher. Man werde sehen, wo man letztlich lande, so die Gründer. Auch Kooperationen mit großen Agrarunternehmen der Region seien nicht ausgeschlossen. „Niedersachsens ist der ideale Standpunkt für uns. Wo, wenn nicht hier, ist die Landwirtschaftsbranche so präsent?“, hält Tobias fest.

Erst kürzlich haben er und seine Jungs ein Büro in den Räumlichkeiten des Instituts für Physische Geographie und Landschaftsökologie der Leibniz Universität Hannover bezogen. Am WG-Tisch trifft man sich nach wie vor. Dann allerdings eher auf ein Feierabendbier unter Freunden. „Wir versuchen, Freundschaft und Business voneinander zu trennen“, versichert uns Tobias und lacht. „Selbst, wenn uns in der WG-Küche damals die Idee kam, gilt es heute, hier vor allem unsere Freizeit zu genießen.“ Es sei ihnen gegönnt. Wir wünschen einen guten Flug!

Übrigens: Während das Gründerteam auf der Agritechnica vor zwei Jahren noch als Besucher unterwegs war, trifft man sie in diesem Jahr an ihrem eigenen Stand im DLG-Agrifuturelab (Halle P11, Stand C20).

 

(Bild Header: HAIP)