Treffen sich ein Ex-Häftling, ein ehemals Alkoholkranker und eine Frau mit Depressionen … Was anfängt wie ein schlechter Witz, ist die Grundidee von HEYHO! und alles andere als geschmacklos. Das Startup produziert mitten in Lüneburg herausragende Bioprodukte. Was für viele einfach nur ein gutes Frühstück ist, ist für die Mitarbeiter die Gelegenheit, wieder oder sogar erstmals in der Arbeitswelt Fuß zu fassen. Wir haben mit den Gründern über ihr beispielloses, innovatives Geschäftsmodell gesprochen.

Zu viele verschiedene Röster verderben das Müsli? „Ganz und gar nicht!“, finden die Gründer von HEYHO!. Deswegen stellen sie eine bunte Mischung an Menschen mit den unterschiedlichsten Geschichten ein: Der eine hat eine Zeit lang im Gefängnis gesessen, der andere seelische Probleme oder eine Suchterkrankung. „Ein Drittel unserer Mitarbeiter hat auf dem regulären Arbeitsmarkt keine Chance!“, sagt uns Christian Schmidt, der das Startup 2016 gemeinsam mit Timm Duffner und Stefan Buchholz gegründet hat. HEYHO! aber gibt sie ihnen. Und siehe da: Es läuft ganz gut an!

Die Mischung macht’s!

Auch die Gründer haben ganz unterschiedliche Biografien und Hintergründe: Christian hat Kommunikationswissenschaften und Betriebswirtschaft studiert. Während eines Auslandssemesters beschäftigt er sich in einem Kurs mit der Frage, was Marken eigentlich verkaufen und was nur reines Marketing-Geplänkel ist. Das machte ihn nachdenklich: „Ich habe angefangen, unsere Konsumwelt viel stärker zu hinterfragen und mir war klar, ich will Teil eines Unternehmens werden, das nicht nur Greenwashing betreibt, sondern wirklich einen positiven Einfluss auf unsere Gesellschaft hat.“ Während seines Praktikums bei der Eiscreme-Marke Ben & Jerry‘s trifft er den Lebensmittelprofi und Biobauern Timm. Der ist sein Chef. Beide merken schnell: Sie teilen nicht nur die Leidenschaft für soziales Unternehmertum und herausragende Bio-Lebensmittel, sondern auch für unterhaltsame Cornflakes-Packungen. „Früher konnte man jede Menge positive Geschichten auf den Verpackungen lesen und inspiriert in den Tag starten“, erinnert sich Timm. Mit der Idee „Der gute Start in den Tag“ beginnen die beiden über besondere Müsli-Sorten nachzudenken, die positive Abwechslung ins Müsliregal bringen. Von ihren Gedanken erzählen sie Stefan, einem Bekannten von Timm: „Wir haben uns auf der Klassenfahrt unserer Kinder kennengelernt und viel über sozialwirtschaftliche Themen diskutiert.“ Stefan arbeitet nämlich in einer Einrichtung für Wohnungslose. Und genau hier entstand plötzlich die richtige Mischung: Die drei entwickeln die Idee einer sozialen Müslirösterei, die Menschen Arbeit gibt, denen aufgrund ihrer Vergangenheit oftmals die Tür vor der Nase zugeschlagen wird – ganz nach dem Vorbild einer US-Bäckerei, die zum Großteil ehemalige Gefängnisinsassen beschäftigt.

Von Untermietern zur modernen Manufaktur

Nach gut einem Jahr intensiver Planung gründen die drei Granola Activists, wie sie sich nennen, im November 2016 die HEYHO GmbH. Durch Stefans soziales Netzwerk müssen sie nicht lange auf Unterstützung und erste Mitarbeitende warten. Als Untermieter in einer Mensaküche rösten und mischen sie mit ihrem Team zwei Jahre lang bis spät in den Abend ihre Haferflocken. Nebenbei suchen sie den engen Draht zur Leuphana Universität und initiieren Forschungsprojekte zu Themen wie Mitarbeiterentwicklung und soziale Unternehmensführung. „Außerdem haben wir von Beginn an versucht, die digitalen Möglichkeiten unserer Zeit so zu nutzen, ohne dass dadurch Arbeitsplätze verloren gehen“, räumt Stefan ein, der die Produktion begleitet und die Personalplanung übernimmt. Denn das sei ja gerade der Punkt. In der modernen Manufaktur arbeiten auf diese Weise Studenten der BWL oder Nachhaltigkeitswissenschaft mit Menschen zusammen, die wegen Beschaffungskriminalität hinter Gittern saßen. Es geht um den Abbau von Vorurteilen und den Aufbau einer neuen Form des Wirtschaftens.

„Viele unserer Mitarbeiter arbeiten in Teilzeit. Wir schauen genau, wie viel zumutbar ist und wo wir vorhandene Talente weiterentwickeln können“, so Stefan. Dank des guten Teamworks – Timm kümmert sich um die Weiterentwicklung der Produkte, erstellt Finanzierungspläne und managt Einkauf und Vertrieb, Christian ist fürs Prozessmanagement und die Kommunikation verantwortlich – überstehen die drei die Zeit des dezentralen Arbeitens ohne festes Büro und eigene Produktionsstätte. „Seit August arbeiten wir nun endlich als Team in unserer eigenen Rösterei – das ist ein tolles Gefühl!“, freut sich Christian.

HEYHO! - Produktbild
Das Müsli von HEYHO! überzeugt nicht nur durch hochwertige, kreative Zutaten, sondern ist auch noch fair produziert! (Bild: Yasmine Lieske)

Sozial und profitabel? Geht das?

Aber mal Hand aufs Herz: Wie profitabel ist das soziale Geschäftsmodell von HEYHO! eigentlich? Timm und Stefan arbeiten nach wie vor in ihren alten Jobs – zwar nur noch in Teilzeit, aber der finanziellen Sicherheit wegen ist die Vollzeitstelle bei HEYHO! noch nicht allein denkbar. Christian hat zu Beginn des Projektes mithilfe von hannoverimpuls einen Gründungszuschuss beantragt und war dadurch für das erste Jahr finanziell abgesichert: „Das hat es gerade in der Anfangszeit deutlich einfacher für mich gemacht.“ Nichtsdestotrotz sind die drei guter Dinge. Denn die Resonanz auf die Produkte und HEYHO!s Definition des gerechten Wirtschaftens ist sehr gut! Die Produkte überraschen mit besonderen Zutaten wie schokolierten Salzbrezeln aus einer Lüneburger Pralinenmanufaktur oder karamellisierten Nüssen mit Lüneburger Salz auf ganzer Linie. Und mit steigender Stückzahl und neuen Handelspartnern ist HEYHO! tatsächlich auf dem Weg zu einem profitablen Betrieb. „Die Kosten für die erstklassigen Bio-Zutaten und faire Löhne, von denen man auch leben kann, sind von Anfang an Teil der Produktkalkulation“, stellt Timm klar. Erhältlich ist das fair produzierte Müsli inzwischen im ausgewählten Feinkosthandel, in Bio-Supermärkten wie Alnatura und denn’s sowie in ersten Unverpackt-Läden. Und das ist erst der Anfang.

Außerdem investiert HEYHO! kein Geld in teure Werbemaßnahmen. Christian ist überzeugt: „Gerade weil wir als kleine soziale Manufaktur produzieren, müssen wir qualitativ deutlich besser sein als der Wettbewerb. Wir alle wollen doch wissen, wer unsere Lebensmittel herstellt und wo die Rohstoffe herkommen. Bei HEYHO! sind wir da total transparent und bieten in Zukunft sogar Führungen durch unsere soziale Rösterei an!“ Aktuell laufen zudem Gespräche mit potenziellen Investoren, die die Unternehmensphilosophie der Granola Activists teilen.

„In Niedersachsen, dem Bundesland der Landwirtschaft und Lebensmittelproduktion, ist noch viel Luft nach oben was soziales Unternehmertum angeht!“, findet Christian. Genau da setzt HEYHO! jetzt an – und wer weiß, vielleicht inspirieren die Gründer ja viele weitere Branchen. Denn mal ehrlich: Um hochwertiges Bio-Müsli geht es hier gar nicht so sehr, sondern vor allem um ein Umdenken im Wirtschaften  – und um die gesellschaftliche Pflicht, sich einfach zu trauen, etwas anders zu machen. Und jeder weiß, dass gute Köche sich dadurch auszeichnen, dass ihre Rezepte nachgekocht werden. Wir zumindest empfehlen das Gericht.

 

(Bild Header: Andreas Tamme)